Max Reimann
(31.Oktober 1898 – 18. Januar 1977)
Wer in Leipzig die Richard-Lehmann-Straße aufsucht, findet in Nähe des Panometers eine Büste von Max Reimann. Sie erinnert daran, dass im Jahr 1952 das Gaswerk 2 in Leipzig den Namen dieses deutschen Kommunisten erhielt. Wer war Max Reimann1, dessen Grab sich in der „Gräberanlage für die Opfer und Verfolgten des Naziregimes“ auf dem Zentralfriedhof in Berlin Friedrichsfelde befindet?2
Bergmann und kommunistischer Politiker3
Sein bewusstes politisches Leben begann für Max Reimann mit der Vorkriegszeit von 1914, über die er schreibt: „Ich arbeitete noch immer auf der Werft. Wir hatten den Krieg schon dadurch kommen sehen, daß wir merkten, mit welchem Hochdruck die Rüstung vorangetrieben wurde. Mit Ausbruch des Krieges wurde mittels Gräuelpropaganda die Stimmung angeheizt, der Chauvinismus im Volke entfacht.“
Damals 16jährig arbeitete er später als Bergmann und wurde ein führender kommunistischer Politiker. Er war antifaschistischer Widerstandskämpfer und im KZ Sachsenhausen von den Faschisten eingekerkert. Als Vorsitzender der KPD, Mitglied des Parlamentarischen Rates und als Bundestagsabgeordneter kämpfte er gegen Restauration, Remilitarisierung und Revanchismus, für die Interessen des Volkes, gegen die Spaltung Deutschlands und für eine realistische, friedliche Außenpolitik. Im Kampf gegen das Verbot der KPD durch die Adenauer-Regierung und ihre Auftraggeber zeigte er hohe Standfestigkeit, die sich aus Charakterstärke und einem klaren marxistisch-leninistischen Weltbild ergab.
Max Reimann hat alle Phasen des Klassenkampfes, die im 20. Jahrhundert bis Mitte der 1970er Jahre national und international stattgefunden haben, bewusst erlebt und mitgestaltet. Im 1. Weltkrieg hat er durch die erlebten Vorgänge an der Front im Westen und dann an der Seite des Arbeiter- und Soldatenrates in seiner Heimat, in Elbing, unmittelbar erfahren, daß die Revolution nicht zu einer grundlegenden Wende geführt hat. Die Arbeiterklasse erlitt eine Niederlage und konnte die bürgerlich-demokratische Revolution nicht zu Ende führen und sie schon gar nicht in die sozialistische Revolution hinüberleiten. Der Kampf der deutschen Linken konnte, trotz großer Opfer, die Kraft einer selbständigen marxistischen Partei nicht ersetzen. Max Reimann betrachtete die Gründung der KPD als einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes. Das war für ihn Motivation, sein Leben lang seine Kraft für eine revolutionäre Partei einzusetzen, deren Programm auf den Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin beruhte.
Seine Mitkämpfer würdigten den großen Einsatz als Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen. Das Potsdamer Abkommen, das als Vereinbarung zwischen den vier Siegermächten die Dekartellisierung, Denazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung ganz Deutschlands forderte und diese Mächte dazu verpflichtete, war eine wichtige internationale Grundlage. In diesem Sinne hat sich Max Reimann auch an der Ausarbeitung des eigenen Verfassungsentwurfs der KPD für das Land Nordrhein-Westfalen und des Gesetzes zur Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum maßgeblich beteiligt.
Um die Restauration ihrer ökonomischen und politischen Macht abzusichern, waren die deutschen Herren der Monopole und ihre Anhänger bereit, die nationalen Interessen Deutschlands zu verraten und die Spaltung des Landes zu vollziehen. Sie handelten nach dem Motto Adenauers: „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb.“ Macht- und Profitstreben sowie Antikommunismus lenkten ihre Feder und ihre Taten von Anfang an. Alle, die dagegen waren, waren ihr gemeinsamer Feind. Dazu paßt die Verurteilung von Max Reimann im Jahre 1948 zu einer Haft von einem Jahr in einem britischen Militärgefängnis. Sie ist ein sichtbarer Ausdruck dafür, daß die USA und Großbritannien nicht die Verletzung des Potsdamer Abkommens, sondern die Demokraten, die sich um seine Erfüllung bemühten, bestraften. Statt der Antihitlerkoalition installierten die Westmächte die Koalition mit den deutschen Konzernherren, mit den ehemaligen faschistischen Generälen und Globkes.
Das Konzept der KPD vertrat Max Reimann auch während seiner Zeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.4 Für seine Haltung steht sein Auftreten als Vorsitzender der KPD-Fraktion am 22. September 1949, wo er die wahren Machtverhältnisse in dem unter Bruch des Potsdamer Abkommens gebildeten Staat darlegte. Auf die wiederholten Unterbrechungen des Abgeordneten Franz Josef Strauß antwortete er: „Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern leben und besonders mit den Völkern des Ostens und Südostens. Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens!“ Dafür wurde er vom empörten Hause niegdergeschrien.
Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands
Max Reimann, erfüllt von den Grundgedanken des Aufrufs des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945, übernahm die Aufgabe, die KPD im Ruhrgebiet zu führen und nach den Jahren faschistischer Herrschaft wieder aufzubauen. Er war der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands5, die am 17. August 1956 in der BRD verboten wurde. Das Verbot wurde gefordert von der Adenauer-Regierung, beibehalten unter Ludwig Erhard, fortgesetzt unter der Regierung Kiesinger/Brandt, aufrechterhalten durch die Regierung Brandt/Scheel und alle folgenden Bundesregierungen bis zum heutigen Tag. Die Adenauer-Regierung stellte ihren Verbotsantrag in Übereinstimmung vor allem mit der USA Regierung am 23.11.1951 und forderte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf, den Verbotsprozess gegen die KPD so schnell wie möglich durchzuführen und das geforderte Urteil zu fällen.6
Der Prozess und das Urteil bedeuteten einen tiefen Einschnitt in der gesamten Nachkriegsentwicklung. Erinnern wir uns: Die erste Handlung Hitlers 1933 zur Sicherung der faschistischen Diktatur und zur Vorbereitung seiner Expansions- und Kriegspolitik war das Verbot der KPD, verbunden mit einem Terrorfeldzug gegen alle demokratischen und friedliebenden Kräfte. An diese verhängnisvolle Tradition Hitlers knüpfte Adenauer an.
Die Schlussfolgerungen, warum die KPD verboten wurde, fasste Max Reimann in sieben Punkten zusammen:
„1. Die KPD wurde verboten, weil sie konsequent für eine antifaschistisch-demokratische Ordnung, für die Durchführung der Prinzipien des Potsdamer Abkommens eintrat. Die KPD wurde verboten, weil sie völkerrechtliche Beziehungen Beziehungen der Gleichberechtigung, der guten Nachbarschaft, der Zusammenarbeit Zusammenarbeit zwischen der BRD und der DDR forderte und für den Gedanken der europäischen kollektiven Sicherheit eintrat.
2. Die KPD wurde verboten, weil sie sich gegen die Remilitarisierung wandte, weil sie gegen die Aufstellung einer neuen Armee, Armee, die im wesentlichen von Hitler-Generalen und Hitler-Offizieren Hitler-Offizieren geleitet wurde, kämpfte.
3. Die KPD wurde verboten, um den Weg zu einer demokratischen demokratischen Entwicklung zu blockieren, um den Weg zur Konzentration Konzentration und uneingeschränkten Machtfülle des Monopolkapitals, zur Sammlung aller Rechtskräfte frei zu machen.
4. Die KPD wurde verboten, weil sie für die Erweiterung der Rechte der Arbeiterklasse, für die Mitbestimmung der Werktätigen in Betrieb, Staat und Gesellschaft eintrat, weil sie um die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Forderung ‚Was des Volkes Hände schaffen, soll des Volkes eigen sein‘ kämpfte.
5. Die KPD wurde verboten, um es der SPD-Führung zu erleichtern, den Weg nach rechts zu gehen und jede Klassenpolitik für die Arbeiter aufzugeben. Mit dem Verbot der KPD sollten alle progressiven Kräfte im Lande getroffen und vor allem die notwendige Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten verhindert werden.
6. Die KPD wurde verboten, weil sie eine Partei des Marxismus-Leninismus, des proletarischen Internationalismus ist, eine Partei, die in fester Freundschaft verbunden ist mit der Sowjetunion, der DDR, mit allen sozialistischen Staaten, mit der Arbeiterbewegung aller Länder, mit allen antiimperialistischen, demokratischen Freiheitsbewegungen in der Welt.
7. Schließlich wurde die KPD verboten, weil die herrschenden Kreise in der Bundesrepublik sich in Europa als Hauptkraft der Aggression, des Antikommunismus und der Reaktion an der Seite des USA-Imperialismus entwickeln wollten.“7
Mit der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde eine Partei kriminalisiert und in die Illegalität getrieben, die vom ersten bis zum letzten Tage der faschistischen Diktatur, dem sogenannten „Dritten Reich“, eine führende Rolle im Widerstandskampf gespielt hatte. Nichts beschreibt besser die politische Funktion des Urteils gegen die KPD wie diese unleugbare Tatsache, die gerade heute von enormer Bedeutung ist.
Ehrenvorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei
Marx Reimann erlebte aber auch die Tätigkeit der DKP, deren Mitglied er im September 1971 wurde. Bis zu seinem Tod 1977 war er deren Ehrenvorsitzender und half beim Übergang der KPD-Genossen zur DKP. Doch galt für ihn, der im Dezember 1968 auf einer Kundgebung herausstellte, dass er die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei begrüßte: „Aber mit der Neukonstituierung einer legalen Kommunistischen Partei, ist das Problem der Aufhebung des KPD-Verbots noch nicht gelöst. Solange dieses Verbotsurteil gültig und wirksam ist, wird von ihm eine schwere Belastung des öffentlichen Lebens ausgehen. Darum besteht weiterhin die Notwendigkeit, den Kampf um die Aufhebung des KPD Verbots zu führen.“8 Das hat die DKP getan, das gehört zu ihrem Programm.
Mitglied des Parlamentarischen Rates
Max Reimann war neben seinem Mitkämpfer, dem Kommunisten Heinz Renner der einzige, der im Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung und Verabschiedung des Grundgesetzes der BRD vor der Spaltung Deutschlands gewarnt hat. Trotz des massiven Antikommunismus setzten sie gemeinsam, den Kampf der Kommunisten um Demokratisierung Frieden und die Einheit der Nation fort. In der ersten Plenarsitzung des Rates vom 1. September 1948 erklärte er: „Der Parlamentarische Rat ist auf Grund der Londoner Empfehlungen zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland
gespalten. … Ich stelle den Antrag: Der Parlamentarische Rat stellt seine Beratungen über eine separate westdeutsche Verfassung ein.“ Begründet hat er das u. a. mit dem Hinweis, daß dieser Rat kein Mandat vom deutschen Volk hatte. Er schlug vor, daß Vertreter aller demokratischen Parteien in Verbindung mit dem Deutschen Volksrat den Alliierten einen gemeinsamen deutschen Vorschlag über die Bildung einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik vorlegen. Gemeinsam mit
Heinz Renner schlug er vor, daß im Grundgesetz ein Passus enthalten sein sollte, besagt: „Der Krieg ist geächtet.“ Der Antrag wurde aber zunächst zurückgestellt und dann abgelehnt. So kam es zu einem Grundgesetz, in dem weder die Ächtung des Krieges noch ein Verbot der Remilitarisierung festgelegt ist. Auf der 10. Plenartagung am 8. Mai 1949 zur Schlussabstimmung über das Grundgesetz erklärte Max Reimann in seiner Rede erneut, dass die Kommunisten das Grundgesetz ablehnen, „weil es die Spaltung Deutschlands bedeutet“. Der namentliche Aufruf zur Unterzeichnung des Grundgesetzes erfolgte auf der 12. Plenartagung am 23. Mai 1949. Heinz Renner wurde aufgerufen und erklärte: „Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands.“
Max Reiman wurde aufgerufen und erklärte: „Ich unterschreibe nicht.“ Beide verließen die Hände in den Hosentaschen den Saal.9 Sie erhoben sich nicht von ihren Plätzen, um das als Umrahmung gedachte Lied mit anzustimmen „Ich habe mich ergeben“.
Max Reimann und Heinz Renner waren es auch, die im Parlamentarischen Rat als erste die sozialdemokratischen Mitglieder dafür tadelten, dass sie keine sozialpolitischen und wirtschaftlichen Grundrechte im Grundgesetz verankern wollten.
Zwei Jahre nach dem Inkraftsetzen des Grundgesetzes am 12. September 1951 erschien im KPD Organ „Freies Volk“ von Max Reimann der Artikel „Die Kommunisten und das Grundgesetz“. Zeitgleich erschien dieser Artikel auch im Neuen Deutschland. Anlass des Artikels war die Konstituierung des Bundesgerichtshofes. Hier wies Max Reimann besonders eindringlich darauf hin, dass die Kommunisten, obwohl sie aus den schon genannten Gründen ihre Unterschrift unter das Grundgesetz verweigert haben, dennoch immer davon ausgehen mussten, dass der Tag kommen werde, da sie dieses Gesetz „gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“10 So war es und so ist es.
So breit und unterschiedlich die Kampffelder von Max Reimann waren, so vielfältig und reich sind auch die Erfahrungen, die sein Leben und Wirken uns vermitteln. Nicht nur Kommunisten sollten aus ihnen lernen und sie bewahren. Max Reimann bleibt unvergesslich als Kommunist und Mensch, der nicht frei von Fehlurteilen war, aber immer auf der richtigen Seite stand und auch weinen konnte.11
1 Biographische Literatur über Max Reimann: Ders., Entscheidungen 1945-1956, Frankfurt/Main 1974. F. Ahrens, A. Broch, Streiflichter aus dem Leben eines Kommunisten, Hamburg 1968.
2 Er wurde in Düsseldorf auf dem Stoffeler Friedhof beerdigt. Zwanzigtausend Menschen und Repräsentanten von 24 kommunistischen und Arbeiterparteien gaben ihm das letzte Geleit. Nach dem Tod seiner Frau Ilse Reimann veranlasste die Familie die Umbettung seiner Urne auf den Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde. Vgl. H. Mies, Mit einem Ziel vor Augen, Erinnerungen, Berlin 2009, S. 293.
3 A. Latzo, Max Reimann – unvergessen, Rotfuchs Nr. 229, Februar 2017. Die Ausführungen in diesem Abschnitt wurden in gekürzter Form wesentlich dem Artikel im RF entnommen.
4 Vgl. 4 Jahre Bundestag – Handbuch der Bundestagsfraktion der KPD.
5 1946 wurde er 1. Vorsitzender der KPD im Bezirk Ruhrgebiet-West, im Mai 1947 1. Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der KPD für die britische Zone. Seit 1948 war er 1. Vorsitzender der KPD für alle drei westlichen Besatzungszonen und Mitglied des bizonalen Wirtschaftsrates sowie des Parlamentarischen Rates, in dem er vor der Spaltung Deutschlands warnte.
6 Vgl. KPD-Prozess Dokumentarwerk zu dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts hrsg. von Gerd Pfeiffer , 3 Bände, Karlsruhe 1956.
7 Vgl. KPD-Verbot aufheben! Politisches und Rechtliches zum Verbot der KPD. Köln 1971, S, 19/20. W. Abendroth, Die politische Funktion des KPD-Verbots, Rede auf der Konferenz über die Problematik des KPD-Verbots am 6. und 7. Mai 1967 in Düsseldorf. In: Sozialistische Hefte, Hamburg, 6. Jg., (1967), 7/1967, (Juli), S. 396-397, E. Buchholz/R. Dobrawa, Politische Justiz in der Ära Adenauer, Berlin 2018.
8 H. Mies, a. a. O., S. 260.
9 Die stenographischen Protokolle wurden herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Ruppert Schenk und Friedrich P. Kahlenberg: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, München 1996.
10 M. Reimann, Aus Reden und Aufsätzen 1946-1963, Berlin 1963, S. 147. Vgl. Staat ohne Recht, des Bonner Staates strafrechtliche Sonderjustiz in Berichten und Dokumenten, Berlin 1959.
11 H. Mies, a.a.O., S. 218.