Vive la commune !
Von Herbert Münchow
Vor 150 Jahren, am 18. März 1871, stürzte das Proletariat von Paris die verhasste Regierung des „nationalen Verrats“, die mit dem Namen Thiers verbunden ist, und errichtete 10 Tage später, am 28. März 1871, seine Macht – die Pariser Kommune. Karl Marx verfasste im Auftrag des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation, der sich zum Zentrum aller Unterstützungsaktionen für die Pariser Arbeiterrevolution entwickelt hatte, eine Adresse, die der Kommune ein bleibendes Denkmal setzt. Diese Adresse, „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, war das beherrschende Thema aller Beratungen des Generalrats. Sie wurde mit größter Ungeduld von der internationalen Arbeiterbewegung erwartet. Das Andenken der Kommune wird bis heute in den Herzen, Hirnen und revolutionären Taten der progressiven Kräfte in der ganzen Welt bewahrt. Eugéne Pottier, der Verfasser der Internationale schrieb: „Doch trotz Verbot, / sie ist nicht tot, / Sie lebt noch, die Kommune!“
Worin besteht das Vermächtnis der Kommune?
Die Kommune von Paris kündigte etwas Neues in der Geschichte an: die Diktatur des Proletariats, eine Regierung der Arbeiterklasse. Sie konnte sich nur 72 Tage behaupten. Der Bourgeoisverstand wurde augenblicklich in panische Schrecken versetzt. Über Nacht war die Herrschaft der bürgerlichen Ordnung mit einem Schlag hinweggefegt worden. Die Arbeiterklasse aber hat der Donner der Kanonen geweckt. Die Pariser Kommune war die erste siegreiche proletarische Revolution. Der erste Versuch, die alte bürgerliche bürokratische Staatsmaschinerie zu zerbrechen und durch einen neuen Typ von Gemeinwesen zu ersetzen. Instinktiv haben die werktätigen Massen ihre Revolution mit sozialistischem Inhalt erfüllt. Karl Marx erkannte in der Kommune einen „neue(n) Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit“. Friedrich Engels sah ihre historische Größe in ihrem „eminent internationale(n) Charakter“, ihrer „Kampfansage an jede Regierung von bürgerlichem Chauvinismus“. August Bebel erklärte im Reichstag den Kampf in Paris zum „Vorpostengefecht“, da die Hauptsache in Europa noch bevorsteht. Lenin galt die Kommune als unsterblich, weil ihre Sache – „die Sache der sozialen Revolution“ ist. Die Stellung zur Kommune wurde zum Prüfstein für revolutionäres Handeln, wie nach 1917 die Stellung zur Oktoberrevolution und zur Sowjetunion zu einer Scheidelinie zwischen revolutionärer und reformistischer Politik wurde. Heute scheiden sich die Geister an der Stellung zur DDR, deren Wesen ihre Existenz als sozialistische Alternative zum Kapitalismus war.
Der Aufstand vom 18. März erfolgte spontan. Auslöser war der deutsch-französische Krieg, der ruhmlose Zusammenbruch des Kaiserreichs Napoleons III. Am 31. Oktober kam es auf Grund von Gerüchten über einen beabsichtigten Waffenstillsatnd unter der Losung „Es lebe die Kommune, wir wollen Waffen“ zur ersten großen Massenaktion, der aber noch einmal eine Niederlage zugefügt werden konnte. Die einzige bewaffnete Macht in Paris war die Nationalgarde, der alle Männer von Paris angehörten. Am 28. Januar 1871 wurde der Waffenstillstand geschlossen, am 24. Februar ein ZK der Nationalgarde gebildet. Nachdem die in Bordeaux tagende Nationalversammlung den Waffenstillstand bestätigt hatte, wurde die Entwaffnung der Nationalgarde verfügt. Mit dem Versuch, die 250 Kanonen der Nationalgarde zu entführen, wurde der Aufstand ausgelöst. Staatschef und Regierung flohen nach Versailles, gefolgt von den Beamten. Die bürokratisch-militärische Staatsmaschinerie hatte ihre Tätigkeit eingestellt.
Dennoch war die Kommune eine Konsequenz aus Frankreichs revolutionär-demokratischer Vergangenheit seit 1789, insbesondere seit den 1830iger Jahren. Wir sehen in dieser Zeit ein Bild von neben- und nacheinander bestehenden revolutionären Organisationen und klarem sozialistischen Ziel. „Die einen verbluteten an der Isolierung von der Masse, die anderen krankten an dem Fehlen einer Partei. Doch zog sich durch alle revolutionären Aktionen und Kämpfe ein revolutionärer Wille und ein ‚himmelstürmender‘ sozialistischer Enthusiasmus.“ (Hermann Duncker)
Bereicherung der Theorie durch die Praxis
Die Pariser Kommune war aber auch das bedeutsamste Ereignis für die Entwicklung der Vorstellungen von Marx und Engels über die Nachfolge des gestürzten Ausbeuterstaates. Im Vorwort zum Kommunistischen Manifest revidierten sie eigene Einschätzungen: „Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass ‚die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.'“ Sie „hat die historische Bedingtheit und den begrenzten Wert des bürgerlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie gezeigt.“ Ebenso hat sie bewiesen,“dass der Klassenkampf unter bestimmten Bedingungen die Form des bewaffneten Kampfes und des Bürgerkriegs annimmt.“ (Lenin)
Zum ersten Mal war es möglich, die Tätigkeit der proletarischen Macht zu analysieren, die Diktatur gegen die Ausbeuter wie auch die Beziehung der Arbeiter zu ihrer eigenen Macht. Die Arbeiter hatten spontan Formen entwickelt, die den Staat ersetzen konnten. Ausgehend von ihren demokratischen Bedürfnissen hatten sie eine politische Ordnung geschaffen, die ihren Interessen entsprach. In ihr sahen Marx und Engels „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte“. In ihrer Beseitigung des stehenden Heeres, der Polizei, ihrer Volksbewaffnung, der Garantierung der absoluten Autonomie aller Kommunen Frankreichs, der Trennung von Staat und Kirche, ihrer Angleichung aller Gehälter – auch des öffentlichen Dienstes – an den Arbeiterlohn, in der Wahl, Verantwortlichkeit und Absetzbarkeit der Volksvertreter wie der Beamten, in der Einheit von Gesetzgebung und Vollziehung, mit einem Wort ihrer Beseitigung der besonderen Staatsmaschine erblickten sie die Gewährleistung des Absterbens des Staates. Deshalb sprach Engels davon, dass die Kommune kein Staat im eigentlichen Sinne mehr sei und Lenin in „Staat und Revolution“ vom „Halbstaat“. Dieser Entwurf einer politischen Ordnung ohne besondere Staatsmaschine, einer prinzipiell neuen politischen Form der „Selbstregierung der Produzenten“ (Marx) war der „Kommunestaat“ (Lenin).
Die wichtigsten Maßnahmen der Kommune als „sozialer Republik“
Die Dekrete der Kommune waren von den Interessen derer bestimmt, die sie gewählt hatten; geprägt vom Kampf um politische und soziale Gleichheit, ohne dass es historisch möglich war, das Privateigentum zu beseitigen. Einige grundlegende politische Maßnahmen wurden schon genannt. Ergänzen wir sie um Maßnahmen der sozialen Reform, insbesondere Maßregeln für die Arbeiterklasse:
° Abschaffung des Mietwuchers
° Rückgabe verpfändeter Arbeitsgeräte
° Zahlung von sozialen Unterstützungen
° Abschaffung des Geldstrafensystems in den Werkstätten
° Abschaffung der Nachtarbeit für einzelne Berufsgruppen
° Übernahme verlassener Werkstätten durch Arbeiter-Kooperationen
° Feste Brotpreise
° Dekrete zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau
° Erstellung eines Planes für die Eröffnung von Kinderkrippen und Kindergärten
° obligatorischer und kostenloser Schulunterricht
° Eröffnung neuer Schulen, Berufsschulen und Lesehallen, höhere Gehälter für Lehrer
Der Charakter der Kommune als proletarischer Diktatur und ihre tiefe Volksverbundenheit, drückten sich in der Einheit von Wort und Tat der Kommunarden aus: „Wie in der Kommune fast nur Arbeiter oder anerkannte Arbeitervertreter saßen, so trugen auch ihre Beschlüsse einen entschieden proletarischen Charakter. Entweder dekretierten sie Reformen, die die republikanische Bourgeoisie nur aus Feigheit unterlassen hatte, die aber für die freie Aktion der Arbeiter eine notwendige Grundlage bildeten (…), oder sie erließen Beschlüsse direkt im Interesse der Arbeiterklasse, und teilweise tief einschneidend in die alte Gesellschaftsordnung.“ (Engels) Dass die Pariser Bevölkerung sich anschickte, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, stieß auf den wütenden Widerstand nicht nur der französischen Reaktion. Die Kommune, weit davon entfernt sich dessen bewusst zu sein, dass sie die Diktatur des Proletariats verwirklichte, war durch diese Situation gezwungen, auch Methoden der Diktatur und des Terrors gegen die Konterrevolution anzuwenden. Andernfalls hätte sie „ihre Stellung schmählich verraten“ (Marx). Engels wies später darauf hin, dass bei der blutigen Niedermetzlung der Kommune, die Bourgeoisie noch stärker als 1848 zeigte, „zu welcher wahnsinnigen Grausamkeit der Rache sie aufgestachelt wird, sobald das Proletariat es wagt, ihr gegenüber als aparte Klasse mit eignen Interessen und Forderungen aufzutreten.“
Das Wesen der Kommune lag in der Schaffung eines besonderen Staatstyps. Es war der Gang der Ereignisse selbst, durch den die Kommune in eine Lage geraten war, in der der bürgerliche Staatsapparat nicht mehr aus der einen Hand in die andere übernommen werden konnte. Er musste vielmehr zerstört und vollkommen neu gestaltet werden, aus eigener Kraft, mit neuen Menschen und neuen Einrichtungen. Dies konnte nur gelingen dank einer festen und unmittelbaren Verbindung zwischen den Massen und ihrer revolutionären Spitze. Die Kommune regierte nicht allein für, sondern durch das Volk. Dadurch konnte sie mit einer kleinen, unbürokratischen Verwaltung die größten Anforderungen bewältigen. Die Notwendigkeit, ihre selbst errungene Freiheit zu verteidigen, hob die Massen auf eine höhere Stufe organisierter Verwaltung.
Versäumnisse und Halbheiten
Die Kommune erlag aus objektiven Gründen: „Zur siegreichen Revolution bedarf es mindestens zweier Vorbedingungen: Die Entwicklung der Produktivkräfte muss eine hohe Stufe erreicht haben, und das Proletariat muss vorbereitet sein. 1871 fehlten jedoch diese beiden Bedingungen.“ (Lenin)
Versäumnisse und Halbheiten wurden hervorgerufen durch die Unreife des französischen Proletariats und den hemmenden Einfluss des Kleinbürgertums. Es wurde nicht nach Versailles marschiert, die Konterrevolution nutzte die Atempause. Das Proletariat blieb auf halbem Wege der Enteignung der Enteigner stehen, solche Einrichtungen wie die Bank wurden nicht in Besitz genommen, ein schwerer politischer Fehler, wie sich herausstellte, „es hätte seine Feinde vernichten müssen,“ statt „sie moralisch zu beeinflussen.“
Innerhalb der Kommune hatten sich die fraktionellen Kämpfe verstärkt. Es fehlte jede Vorstellung einer revolutionären Strategie und Taktik – mit einem Wort: es fehlte die mit dem Marxismus ausgerüstete Partei der Arbeiterklasse. Wer die letzten 30 Jahre nicht verschlafen hat, kann die Notwendigkeit einer solchen Partei kaum bezweifeln.
Erfahrungen des Sozialismus
Die Pariser Kommune hatte bewiesen, dass die Arbeiterklasse aus eigener Kraft nicht nur einen Aufstand durchführen, sondern auch eine neue politische Ordnung schaffen konnte. Nicht die bürgerliche Demokratie, sondern die „Selbstregierung der Produzenten“ war die neue Konzeption für die politische Ordnung einer ausbeutungsfreien Gesellschaft. Mit Lenins „Aprilthesen“ 1917 wurde die Forderung des Kommunestaates zum Tagesprogramm. In „Staat und Revolution“ begründet Lenin dieses Programm theoretisch. Die Wiederherstellung der wahren Marxschen Lehre vom Staat wurde zum Ausgangspunkt für das Konzept der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und mit ihm der bürgerlichen Demokratie. Beide müssten durch den Sowjetstaat vom Typ der Pariser Kommune, eine sich selbst verwaltende Massenorganisation der Arbeiter, die keine Trennung der gesetzgebenden von der vollziehenden Gewalt kannte, ersetzt werden.
Die Verwirklichung des Marxschen Entwurfes gestaltete sich weitaus schwieriger als anfänglich angenommen. Von der Arbeiterbewegung insbesondere Deutschlands im Stich gelassen, waren die Bolschewiki gezwungen, den Aufbau des Sozialismus unter den denkbar schwierigsten Bedingungen zu beginnen. Die Diktatur des Proletariats musste mit härtesten diktatorischen Mitteln verteidigt werden. Immer drängender entwickelte sich die Notwendigkeit des Aufbaus eines eigenen neuen Machtapparates, zuerst auf militärischem, dann auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Sowjetmacht brauchte eigene handlungsfähige sozialistische Staatsorgane. Lenin zog daraus die unvermeidliche für lange Zeit geltende Schlussfolgerung: „Wir sind jetzt unbedingt für den Staat … Mit dem Absterben des Staates hat es noch gute Weile.“ Der Entwurf der Pariser Kommune als Ganzes konnte nicht zur politischen Form des Sozialismus werden. In der Realität gab es erhebliche Korrekturen am Kommunekonzept, die Ausdruck der geschichtlichen Umstände waren, Korrekturen der Praxis an der Theorie, aber auch Fehlentwicklungen jenseits objektiver Zwänge. Aus den Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes und aus dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln ergab sich die Notwendigkeit des sozialistischen Staatsapparates. Es ergab sich die Gefahr des Bürokratismus und es „ergab sich zum ersten Mal und seitdem immer wieder die Frage des Verhältnisses von Massen und eigenem Staat“ als grundlegende Frage der Gestaltung der Demokratie im Sozialismus, „auf die Lenin die Antwort des demokratischen Zentralismus gab.“ (Uwe-Jens Heuer, Marxismus und Demokratie) Die Nutzung des Staates, seines Apparates, stand auf der Tagesordnung, aber eines sozialistischen Staates. Man erzählt falsche Legenden, wenn man daraus ableitet, der reale Sozialismus, so in der DDR, wäre gar kein Sozialismus gewesen.
Der Staat war im Sozialismus notwendig zur Gewährleistung äußerer und innerer Sicherheit und als „operativer Verwalter des Volkseigentums, der die Bedingungen für ein rasches Produktivitätswachstum schafft“, um die materiellen Existenzbedingungen der sozialistischen Gesellschaft weiter auszubauen, „allgemeine Interessen durchzusetzen und einen demokratischen Prozeß der Interessenabstimmung“ politisch und rechtlich zu gewährleisten. (Ekkehard Lieberam, Wendige Vergesslichkeit) Das Ziel einer „Selbstregierung der Produzenten“ wurde nicht aufgegeben, verlangt aber ein funktionierendes Gesamtsystem gegenseitiger Kontrollen und der Kontrolle von unten, das sich nicht herausbildete. Bis „ein in neuen, freien Gesellschaftszuständen herangewachsenes Geschlecht imstande sein wird, den ganzen Staatsplunder von sich abzutun“. (Engels)