Standpunkte der DKP Leipzig

Gewerkschaftspolitik

Die Rolle der Gewerkschaften heute!

Zu diesem Thema diskutierten am 23. März 2010 etwa 40 Gewerkschafter aus Leipzig. Eingeladen hatte die AG "betrieb&gewerkschaft" – ein Zusammenschluss der PDL. Auf dem Podium hatten Platz genommen: Cornelia Falken (Vorsitzende des GEW-Kreisverbandes Leipzig-Stadt); Sieglinde Merbitz (1. Bevollmächtigte der IG Metall Leipzig); Ines Jahn (Geschäftsführerin des Ver.di- Bezirkes Leipzig/Nordsachsen).
Kern der Debatte, die offen und leidenschaftlich geführt wurde, war die Frage: Wie verhält es sich mit der Doppelrolle der Gewerkschaften: systemstabilisierend – systemkritisch? Dass die Gewerkschaften auch systemstabilisierend sind, indem sie nur Wirkungen, aber keine Ursachen bekämpfen, steht außer Frage. Diese Art der „Stabilisierung“ ist jedoch zu unterscheiden von jener Art, die sich gegen die Kollegen wendet, weil sie an die Stelle des Klassenkampfes die Sozialpartnerschaft setzt. Da hört die Gewerkschaft auf, eine „Kriegsschule der Arbeiterklasse“ zu sein, wie Friedrich Engels sie nannte. Sie ist dann auch nicht „das Mittel der Vereinigung der Arbeiterklasse, der Vorbereitung zum Sturz der ganzen Gesellschaft mit ihren Klassengegensätzen“, wie Karl Marx meinte, der der Gewerkschaftsarbeit insbesondere durch „Das Kapital“ nicht nur die theoretische Grundlage geliefert hat, sondern mit der Gründung der I. Internationale, deren Sekretär er einige Zeit war, das Proletariat auch organisatorisch zusammengeschweißt hat. Und so ist das eigentliche Problem die systemkritische Seite der Gewerkschaften, die im Vordergrund stehen muss, wenn sie aus ihrer schlechten Aufstellung zum Kampf herauskommen wollen.
In der Diskussion, in der gerade die IG Metall durchaus bemerkenswerte, weil doch sonst eher aus dem Rahmen fallende Ergebnisse in der Erhöhung des Organisationsgrades vorstellte, spielte dieses Thema dann auch die entscheide Rolle. Klassenkampf war kein Fremdwort für die Kollegen. Klar war auch, dass es die Entschlossenheit zum Kampf ist, d.h. zum Streik, die für gewerkschaftliche Zuwächse sorgt. Und doch: Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da noch was fehlte. Es fehlte nicht nur die Klarheit über die sehr kritische Lage der unverzichtbaren Gewerkschaften, die die gegenwärtige Wirtschaftskrise eher nach partei-politischen Konstellationen beurteilen, aber kaum genügend nach ihrer Tiefe und ursächlichen Bedingtheit durch die Anarchie der kapitalistischen Produktion – nein, es fehlte auch das Bewusstsein, dass in der Gewerkschaftsarbeit Kollektivaktion sich auf die Klasse bezieht. Die Rationen werden karger, die der Kapitalismus der Arbeiterklasse zugestehen kann. Demzufolge erhöhen sich die Anforderungen an die Kämpfenden. Ohne alternatives Denken – ohne das Überschreiten des Kapitalismus durch das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft jenseits der Ausbeuterordnung , das Ziel eines erneuten Ausbruchs aus dem Kapitalismus, ist da auf die Dauer – für die Kämpfe des Tages, die eben einen langen Atem erfordern, weil der Lohnarbeiter letztlich keine Perspektive im Kapitalismus hat, nur sehr wenig zu erreichen. Rein gewerkschaftlich – ohne sich mit der Frage der gesellschaftlichen Alternative auseinanderzusetzen, wollte nur Cornelia Falken agieren. Zwar hält sie diese Frage für die Arbeiterbewegung für sehr wichtig, aber momentan sehe sie so etwas nicht. Entschlossen wirkte sie dennoch!!
Was aber war der Knackpunkt, der sich durch die Debatte zog im Zusammenhang mit der Frage nach der Systemkritik? Die Gewerkschaften müssen Sammelpunkte des Widerstandes sein – der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital ist grundlegend. Die Konkurrenz der Kollegen untereinander, die durch das Kapital gezielt organisiert wird (Stichworte: Zeitarbeit, Hartz IV, Standortpolitik etc.) führt zur Auflösung der Klassenaktion. D. h., ohne klassenbewusste Gewerkschafter als Funktionäre und Führer der Arbeiter ist die Aufspaltung der Arbeiterklasse in Einzelpersonen nicht aufzuhalten. Das Nachtraben hinter der SPD – so wurde es deutlich in der Diskussion – hat die Gewerkschaften nicht stärker gemacht. Persönlich habe ich auch festgehalten: Wenn um drei oder vier Kollegen innerhalb eines Betriebes, die eine grössere Glaubwürdigkeit erlangt haben, als die Gewerkschaftsspitzen, wenn um diese Leute herum ein Kampfkomitee gebildet wird und wenn dieses Kampfkomitee von einer Betriebsversammlung gewählt wird, dann bewegt sich unter Umständen auch sehr viel in der Gewerkschaftsarbeit, weil es hier darum geht, die Kollegen zu mobilisieren, ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen.


Weder Fisch noch Fleisch
zum 18. Ordentlichen Gewerkschaftstag der Eisenbahnergewerkschaft Transnet

Transnet habe wieder zu sich selbst gefunden, hieß es auf der Abschlussveranstaltung des 18. Ordentlichen Gewerkschaftstages der größten Eisenbahnergewerkschaft Deutschlands am 27.11.2008 in Berlin. Dies allerdings dürfte eine Illusion sein. Die Krise der Transnet wurde nämlich verursacht durch den Schmusekurs der Gewerkschaft mit dem Unternehmen und der massiven Unterstützung des Börsenganges der Deutschen Bahn. Das System Hansen und das System Mehdorn arbeiteten Hand in Hand. Nach einem geistig längst vollzogenen Wechsel, wechselte der frühere Gewerkschaftsvorsitzende dann auch körperlich die Seiten und verriet mit der Übernahme einer Funktion im Bahnvorstand endgültig die Interessen der Eisenbahner. Der ihn ablösende Vorsitzende Lothar Krauß setzte die Politik von Norbert Hansen fort. Kurz vor dem Gewerkschaftstag, der eine Erneuerung bringen sollte, verzichtete er auf eine Kandidatur, weil seine Wahl aussichtslos gewesen wäre. Alexander Kirchner - stellvertretender Vorsitzender, Tarifexperte der Transnet wurde aufgestellt und letztlich mit 96,3 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen gewählt. Doch auch er war Teil des Systems Hansens an exponierter Stelle. Keine Absprache mit dem Bahnvorstand, an der Kirchner nicht beteiligt war. Selbst die unbedarftesten Mitglieder der Transnet haben bis in die Gegenwart hinein, zuletzt im Rahmen der Boniaffäre, die Scheinheiligkeit der Gewerkschaftsführung gründlich durchschaut. Neuntausend haben die Gewerkschaft seit der Auseinandersetzung mit der GDL verlassen. Vierzigtausend Mitglieder hat die Transnet seit 2004 verloren.

Man sollte meinen, dies müsse Anlass genug für einen klaren Kurs der Interessenvertretung der Kollegen sei. Weit gefehlt – der Kurs bleibt unklar. Transnet stellt den Börsengang auch künftig nicht grundsätzlich in Frage. Dies wurde deutlich, als kurz vor Schluss des Gewerkschaftstages noch zwei Initiativanträge zur Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG auf der Tagesordnung standen. Der von dem Berliner Delegierten Eberhard Podzuweit eingebrachte Initiativantrag Nr. 1 war vom geschäftsführenden Vorstand an einigen Stellen verändert und nach Ansicht mancher Delegierter „weichgespült“ worden. Er wurde in der Neufassung angenommen. In seinem Redebeitrag erinnerte Podzuweit an die Aussage des neuen Gewerkschaftschefs Alexander Kirchner, „dass über deutsche Arbeitsplätze auch in Deutschland entschieden werden müsse“. Diese Aussage schließt nach allgemeiner Lesart eine Zustimmung zum Verkauf von DB-Anteilen an russische, chinesische oder arabische Staatsfonds aus, wie er von DB-Chef Hartmut Mehdorn angestrebt wird. Wichtig sei, dass nicht Aktionäre aus aller Welt Dividende abzögen, sondern mögliche Überschüsse wieder ausschließlich in die Bahn investiert würden, so Podzuweit. Er forderte eine breite Diskussion mit allen Mitgliedern und eine Veröffentlichung möglicher Alternativvorschläge in den gewerkschaftseigenen Medien. Dabei müssten auch reale Erfahrungen mit der Bahnprivatisierung in England oder Neuseeland berücksichtigt werden und verbindliche Entscheidungen wenn nötig auch per Mitgliedervotum gefällt werden. Der Gewerkschaftstag beschloss, „dass sich die TRANSNET mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und auf allen politischen Ebenen, insbesondere bei Zustandekommen neuer politischer Machtverhältnisse, deutlich gegen voreilige (aufgrund der Finanzkrise) Privatisierungsschritte stellt“. Ein mögliches Gesamtkonzept solle in der Mitgliedschaft, in den Ortsverwaltungen und Bezirken diskutiert und aufgrund dieser Diskussion im Beirat der Gewerkschaft beschlossen werden. Darüber hinaus heißt es in dem Papier, „dass weder Grundgesetz noch Europäisches Recht juristisch dazu zwingen, die Kapital- bzw. Börsenfähigkeit in den Vordergrund aller Überlegungen zu stellen“. Zumindest der letzte Satz ist eine Abkehr vom bisher in Transnet üblichen Totschlagsargument, dass Europarecht Privatisierung verbindlich vorschreibe.
Ein schriftlicher Zusatzantrag, der eine gleichberechtigte Diskussion mit allen Mitgliedern über einen Börsengangs und die Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung von Bahnprivatisierungen und direkte Kontaktaufnahme zu den betroffenen Brudergewerkschaften in aller Welt fordert, wurde nach einer Intervention von Gewerkschaftschef Kirchner abgelehnt. Auch mit der Ablehnung des weitergehenden börsenkritischen Initiativantrags Nr. 2 folgte die Mehrheit im Saale dem Rat Kirchners, der in diese Debatte mehrfach eingriff. „Zerschlagung und Ausverkauf unserer Bahn haben längst begonnen“, erklärte Antragssteller Alfred Lange (Bahn von Unten) und erinnerte die Delegierten daran, dass sie zu Beginn der Woche den privatisierungskritischen Aussagen der Vertreter von DGB und Europäischer Transportarbeiterförderation Beifall gespendet hätten. Die Zeit von Wischiwaschi-Beschlüssen sei eindgültig vorbei, mahnte Lange: „Unsere Mitglieder sind gegen den Börsengang. Sie warten hier und heute auf Signal von uns, von der größten und kompetentesten Bahngewerkschaft“. Für die Antragskommission empfahl Peter Nowack Ablehnung, weil eine solche Beschlussfassung einem „ergebnisoffenen Diskussionsprozess“ widerspräche. Dieser Diskussionsprozess wurde jedoch im Saale per Antrag auf Abbruch der Debatte rasch beendet. „Die Diskussionskultur war enttäuschend“, brachte es der Delegierte Uwe Larsen Röver (Zugbegleiter) aus Halle auf den Punkt, der als nächster auf der Rednerliste stand und nicht mehr zu Wort kam.

„Zeiten ändern sich – der Auftrag bleibt“ – war das Motto des Gewerkschaftstages. Der neue Vorstand hat bislang nicht erkennen lassen, dass er damit die konsequente Interessenvertretung der Eisenbahner meint. Als Kirchner im Fernsehen die Frage des Streiks um Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit als Notbehelf und Mittel der Propaganda und Organisation von der Tagesordnung verdrängte, war er wieder beim System Hansen. Dieses System, dass auch jede wirkliche politische Aktion ausschließt, muss erst noch beseitigt werden. Es hat zur Isolierung der Transnet im DGB und gegenüber den Mitgliedern geführt. Der Bahn-von- Unten-Aktivist Alfred Lange brachte es in seiner Rede auf den Punkt: „Es hängt nicht von der Einsicht des Bahnvorstandes ab, ob es uns besser oder schlechter zu gehen hat. Sondern es hängt allein von der Kraft ab, die wir als Gewerkschaftsorganisation zu entwickeln vermögen.“

Herbert Münchow

(Der Autor verwendete Materialien der Bahn von Unten)


Ein Streitgespräch zwischen Rainer Perschewski und Herbert Münchow über den aktuellen Streik der GDL

Die Einschätzung des GDL-Streiks hat auch innerhalb derBerliner DKP, zunächst in Gruppenversammlungen oder in individuellen Gesprächen, zu hitzigen Auseinandersetzungen geführt. Es stellte sich schnell heraus, daß grundsätzliche Fragen der Gewerkschaftspolitik berührt werden und die Diskussion einer gründlichen Qualifizierung bedurfte. Dazu wurde zunächst am 5. Dezember eine parteiinterne Zusammenkunft angesetzt, in der auf der Grundlage zweier unterschiedlicher Positionsbestimmungen der Genossen Herbert Münchow und Rainer Perschewski (beide TRANSNETMitglieder) diskutiert wurde. Schließlich nahm auf der BMV vom 8.12. diese Thematik noch einmal breiten Raum ein und mündete in eine mit großer Mehrheit verabschiedete Positionierung. Wir dokumentieren hier die Statements von Rainer Perschewski und Herbert Münchow vom 5.12. und die auf der BMV verabschiedete Positionierung der Berliner DKP.
Solidarität mit den Lokführern! Aber: Hintergründe und Interessen der Akteure beachten!

von Rainer Perschewski

Der Streik der Lokführer war berechtigt und war Ausdruck ihrer Situation. Es hat in den vergangenen Jahren erhebliche Verschlechterungen in den Arbeitsbedingungen und einen Abbau des Reallohnes der Beschäftigten der Bahn in allen Bereichen gegeben. Daher erklärt sich die DKP solidarisch mit den Forderungen der Lokführer für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Der Streik ist das stärkste Mittel, das die Beschäftigten haben, um ihre Interessen gegen das Kapital durchzusetzen. Schon deshalb ist es zu unterstützen, wenn Beschäftigte mit dem Unternehmen um ihre berechtigten Interessen streiten. Auch ist eine Kritik an der Politik der Eisenbahnergewerkschaft TRANSNET berechtigt. Diese hat es in den vergangenen Jahren versäumt, die Gewerkschaftsmitglieder, die Eisenbahner, für ihre Belange zu aktivieren und hat die betriebliche Gewerkschaftsarbeit stark vernachlässigt. Dies hat dazu geführt, dass sie die Situation nicht mehr richtig wahrgenommen hat, sonst wären die schon 2005 vereinbarten Tarifverhandlungen über eine neue Lohnstruktur nicht erst Anfang des Jahres begonnen worden. In diesen Verhandlungen sollten vor dem Hintergrund des Betriebsergebnisses und der höheren Arbeitsleistung die entstandenen Schieflagen bei den Löhnen beseitigt werden. Auch wird keiner bestreiten, dass die TRANSNET, als zahlenmäßig größte Eisenbahnergewerkschaft, im DGB auch andere Positionen vertritt, die zu kritisieren sind. So zum Beispiel ihre Haltung zur Kapitalprivatisierung der DB AG. Wenn wir aber in der Lage sind, die TRANSNET zu kritisieren, ver.di für ihre Tarifabschlüsse, zum Beispiel bei der Telekom, zu kritisieren, die IG Metall zu kritisieren, muss es auch möglich sein, die GDL für ihren Alleingang zu kritisieren. Auch während eines Arbeitskampfes. Die Frage ist, was man vorne anstellt, nämlich die Solidarität mit den streikenden Kolleginnen und Kollegen. Dennoch muss man die Hintergründe und Interessen der Akteure beachten. Die Führung der GDL kocht ihr eigenes Süppchen auf Kosten der anderen Gewerkschaften. Deswegen muss man sich den Charakter dieser Berufsgruppenorganisation vor Augen führen und auch schauen, welches politische Spektrum – wie eben CDU- und FDP-nahe Kreise – die GDL unterstützen. Wer die Linie der DGB-Gewerkschaften kritisiert, muss bei der GDL registrieren, dass sie nicht den Hauch eines politischen Anspruches erfüllt. Der Vorwurf des „Trade Unionismus“, den Lenin der Arbeiterklasse vorwarf, trifft voll auf die GDL zu. Sie nutzt ihre Kampfkraft zur Besserstellung ihrer Klientel in der innerbetrieblichen Konkurrenz, anstatt die Beschäftigten gegen die Kapitalinteressen zu vereinen. Deswegen muss man sich die Frage stellen, was nutzt wem und wer verfolgt hier welche Interessen. Wir können die Lokführer in ihren Lohnforderungen unterstützen, aber nicht in ihrem Ziel eines eigenen Tarifvertrages Es spricht nichts dagegen, dass es für die Lokführer und das übrige Fahrpersonal besondere tarifliche Regelungen gibt, die ihren Arbeitsbedingungen entsprechen. Aber diese tariflichen Regelungen müssen von allen drei Eisenbahnergewerkschaften in einer Tarifgemeinschaft ausgehandelt werden. Die Forderung der GDL nach einem eigenen Tarifvertrag dient allein dazu, eine Berufsgruppe aus der Gemeinschaft der Beschäftigten herauszulösen, vermeintliche Sonderinteressen durchzusetzen und damit auch von künftigen gemeinsamen Arbeitskämpfen abzutrennen. Das führt – ob man will oder nicht – zur Spaltung der Belegschaft und das kann nicht im Interesse der Werktätigen liegen. Hieraus jetzt einen Spaltungsvorwurf in Richtung der TRANSNET zu konstruieren, ist nicht nachvollziehbar. Ebensowenig wird es der realen Situation gerecht, Gewerkschaftsführungen pauschal zu verurteilen. Eine solche Haltung verkennt die Veränderungsprozesse – wie die gesellschaftspolitischen Debatten über die weitere Arbeit oder den Loslösungsprozess von der SPD – die in den Gewerkschaften in Gang sind. Sie verkennt auch die Rolle der Gewerkschaften bei der Durchsetzung gesellschaftlicher Veränderung insgesamt. Es gibt hier keine Illusionen über die DGB-Gewerkschaften.
Natürlich müssen wir gegen opportunistische Haltungen in den Gewerkschaften argumentieren und dagegen angehen. Aber das können wir nur mit den Kolleginnen und Kollegen, nur in den Gewerkschaften und nicht gegen sie.


Solidarisieren oder politisch isolieren?

von Herbert Münchow

Diese Frage – aufgedrängt durch die DGB-gewerkschaftsoffiziöse Sicht und den Vergleich mit dem Marburger Bund und Cockpit – schwebte im Raum, als es um den Streik der Eisenbahner ging, die in der GDL organisiert sind. Sie ist für die DKP von grundsätzlicher Bedeutung. Denn als Marxisten wissen wir, dass es darum geht, die Kämpfe und die Kämpfenden durch die eigene praktische Solidarität zusammenzuführen – und wir machen das nicht davon abhängig, ob das Klassenbewusstsein weit, wenig oder gar nicht entwickelt ist. Die Bejahung der GDL-Forderungen bei gleichzeitiger Verneinung der Klassensolidarität läuft auf die Kritik am Mittel des Streiks hinaus. Das Hauptgewicht revolutionärer Gewerkschaftstätigkeit wird nicht mehr auf den Kampfcharakter der gewerkschaftlichen Einrichtungen gelegt, damit nicht mehr auf die klassenkämpferische statt arbeitsgemeinschaftliche Haltung gegenüber dem Tarifvertragswesen. Zwar gibt es sehr viel Kritisches zur GDL zu sagen (auch in dieser Hinsicht), aber die Gegenüberstellung zur TRANSNET als „Verfechter“ der Einheitsgewerkschaft ist verfehlt. Die gewerkschaftliche Einheit, die die Klasseneinheit ist und die wir mit Willi Bleicher „lieben wie unseren Augapfel“, wird gestört, wenn die Lohnabhängigen sich nicht mehr mit ihrer Gewerkschaft identifizieren können, weil sie Verschlechterungen als Verbesserungen ausgibt, sich der Verzichtspolitik unterwirft und nicht nach organisatorischen Formen sucht, die den heutigen kapitalistischen Gegebenheiten Rechnung tragen. So war es beim Fahrpersonal der DB AG, das der TRANSNET-Führung die Kungelei mit dem Konzern vorwirft. Der Streik dieser Kolleginnen und Kollegen hat breite Zustimmung unter den Lohnabhängigen erfahren. Sie erkannten sich in den Problemen der Eisenbahner wieder. Die soziale Misere in unserem Land hat das bewirkt. Deshalb wurde der Streik politisch gefährlich – so gefährlich, dass man die Frage nach seiner „Verhältnismäßigkeit“ aufwarf, nach den „Verbrechen“ der Eisenbahner („Terroristen“ wurden sie genannt), nach einer Art „Notverordnung“. Kein Vorstand musste zum Streik erst mühevoll aufrufen – nein, der Streik der Lokführer und Zugbegleiter wurde von diesen selbst vorangetrieben. Die Sympathie der Millionen Lohnabhängigen mit diesem Streik und den Streikenden, die das gleiche Interesse gezeigt haben: Schluss mit dem Verzicht!, ist nun Anlass, die Frage zu stellen: Welchen Sinn machen dann noch kleine Gewerkschaften? Ohne praktische Solidarität geübt zu haben, ohne seinen Auftrag als klassenbewußter Gewerkschafter erfüllt zu haben, ohne den Streikenden politisch den Rücken gestärkt zu haben, ohne den Blick auf die Eisenbahner statt vordergründig auf ihre Organisationen gerichtet zu haben, wird man als Kommunist mit dieser Frage wahrscheinlich wenig Gehör finden. Aber kaum eine Erfahrung ist besser geeignet, an die Einheit der Gewerkschaften als Ergebnis des Kampfes der Arbeit gegen das Kapital heranzuführen, als die des Tarifkonfliktes bei der DB AG. Denn der Konflikt, der den Tarifkonflikt bestimmt (die Privatisierung gemeinwirtschaftlicher Betriebe), existiert eben auch ohne GDL, er existiert für alle Gewerkschafter – egal wo sie parteipolitisch stehen und in welcher Gewerkschaft sie organisiert sind. Oder, um es mit Willi Bleicher zu sagen: „Ich neige der Auffassung zu, dass die Gewerkschaftsbewegung auf Grund der Tatsache, dass wir in einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung leben, vom anderen Teil diktiert bekommt, wann die Gewerkschaften in Abwehr- oder in Angriffsstellung zu gehen haben. Das liegt nicht an uns, das bestimmt der Teil, der im Besitz der Produktionsmittel, im Besitz der Wirtschaft und damit auch im Besitz der politischen Macht ist.“ Aber der Streik der GDL zeigt nach dem letzten Stand der Dinge (der allerletzte ist wohl noch nicht erreicht) auch: Ohne Klassenbewusstsein denken die Kollegen nur an sich selbst. Nach dieser langen Phase der Entwöhnung vom Klassenbewusstsein, mit einer neuen Generation, die solidarische Kämpfe gar nicht kennt und sich mit prekären Arbeitsverhältnissen abfinden muss, dürfen wir auch nichts anderes erwarten. Deshalb gilt: Die gewerkschaftlichen Kämpfe müssen politisch unterstützt und ergänzt werden. Das ist die Aufgabe der Kommunisten, aber nicht nur ihre Aufgabe allein.

Das Streitgespräch stammt aus dem Berliner Anstoß, der Monatszeitung der DKP-Berlin, vom Januar 2008.

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